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AutorenbildYvonne Ineichen

Ich bin Jakob


Bedächtig geht er seinen Weg. Aufrecht, stetig, einen Schritt nach dem anderen. Das knallblaue Shirt wetteifert mit dem Sommerhimmel, sein schneeweißes Haar schwebt wie eine Wolke darüber. Mit einem Schmunzellächeln setzt er sich auf die Bank vor mir. Ruhe strahlt aus jeder Pore seines Gesichtes, das von weichen Falten gezeichnet ist. Dieser Mensch hat fröhliche Falten, denke ich, während der Kaffee auf meinem Gaskocher munter aus der Kanne blubbert.

Ein Impuls. Ich greife die Tasse, marschiere zur Bank und setze mich neben ihn. «Haben Sie Lust auf eine Tasse Kaffee?» Sein Lächeln ist so breit, dass sich jede Antwort auf meine Frage erübrigt. Die kleine Tasse verschwindet vollumfänglich in seinen Händen. Kräftig sind sie. Arbeiterhände, denke ich. Er nippt am Becher, dann beginnt er zu erzählen. Seine Frau starb im März vor einem Jahr. Und dann kam Corona. «Uns Alte wollten sie wegsperren. Nicht mit mir!» Seit dem Tod seiner Frau marschiert er jeden Tag zur ungefähr gleichen Zeit seine Runde durch den Bireggwald. Setzt sich am höchsten Punkt am Waldrand auf die Bank. «Wenn mich die Trauer fast überwältigte, hat mir das immer geholfen. So als ob die Natur meine Sorgen von mir nehmen würde.» Er lässt mich an seinem Leben teilhaben, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Schwärmt von seinem Hobby, dem Modellbootsbau. Und wie er selbst immer wieder an technischen Neuerungen tüftelt. Von seiner Liebe zum Wasser und seinem Segelboot, das auch schon 60 Jahre auf dem Buckel hat und jetzt von einem seiner Söhne gesteuert wird. «Weißt du, wenn man weiß, was einem gut tut und so richtig Spaß macht, ist das unendlich wertvoll und hilft in schwierigen Zeiten.» Als er dann noch von seinen Motorradausflügen auf seiner Oldtimer BMW erzählt, sehe ich den verspielten Lausbuben, der in ihm steckt, förmlich vor mir. «Natürlich hat mir schon jemand gesagt, ich sei doch nicht ganz dicht, in meinem Alter noch Motorrad zu fahren», schmunzelt er. Dieselbe Person habe mit ihrer 170PS Maschine geprotzt und wie man damit über Pässe heizen könne. «Ich weiß wenigstens, dass ich auf meinem Motorrad nicht nur den Motor, sondern auch das Gehirn einschalten muss», antwortete er dem Proleten. Touché! «Weißt du, ich kenne meine Grenzen und respektiere sie.» Das sei seit jeher sein Lebensmotto und in seinen inzwischen 89 Lebensjahren immer ein weiser Begleiter gewesen. «Nicht so, dass man sich einschränkt. Aber so, dass man weiß, wo Schluss ist.» Wir sitzen eine Weile in einvernehmlichem Schweigen da. Er trinkt einen letzten Schluck aus der Tasse, reicht sie mir. «Danke für diese wunderbare Begegnung und für den Kaffee. Das werde ich nie mehr vergessen.» Ich bin berührt. «Danke für den Moment. Auch ich werde mich ewig daran erinnern», erwidere ich. Er steht auf, lächelt mir voll wissender Güte zu, wie nur ein Mensch das kann, der schon so viele Jahre auf dieser Erde weilt. «Übrigens, ich bin Jakob!» Er erhebt sich. Geht nach Hause. Für ein Mittagsschläfchen und um von seiner Frau zu träumen. Wie er das jeden Tag nach seinem Spaziergang macht …

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