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Mundart: Bitte hinten anstellen!

  • Autorenbild: Yvonne Ineichen
    Yvonne Ineichen
  • 22. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

In Mundart schreiben? Das pflegen wir nicht. Obwohls unsere Muttersprache ist.
In Mundart schreiben? Das pflegen wir nicht. Obwohls unsere Muttersprache ist.

Wie rasch wir doch bereit sind, unsere Muttersprache in die Tonne zu treten. Nur, um konform zu sein. Jawoll.


Eine einfache Frage. Ein tiefes Gespräch.

«Hei, wohin geht deine Reise?» So oder ähnlich lautete die Frage meines Sitznachbarn im Flugzeug von Zürich nach Amsterdam. «Ich flieg von Amsterdam weiter nach Bergen. Und von da geht’s dann mit dem Auto in die Berge von Bergen.» Diese eine kleine Frage war der Türöffner für ein Gespräch, das Fahrt aufnahm – philosophisch, persönlich, vielschichtig. In Englisch. Ich kramte alle Schubladen durch, mischte Schweizerdeutsch hinein, erklärte mit den Händen.

 

Worum es eigentlich ging

Um die Muttersprache. Um unsere Sprachwurzeln. Darum, wie eus d Schnöre gwachse esch. Benjamin – offen, neugierig, fragend – beschäftigt sich seit Langem mit seiner eigenen Sprachheimat: dem Kreolischen. Er hält dazu Vorträge, forscht, fragt. Gemeinsam loteten wir aus, wie es ums Schweizerdeutsch steht. Wie rasch wir doch angehalten werden, unsere Muttersprache zu verlassen. Schon in der Primarschule. Damit man uns versteht. Damit wir uns richtig und gewandt ausdrücken können.

Wir verlassen unsere Muttersprache und damit einen Teil unserer Wurzeln ziemlich tifig.

 

Sprache ist Bewegung – und gibt Wurzeln

Natürlich wandelt sich Sprache. Sie verändert sich, sie lebt. Alte Wörter gehen verloren, neue kommen dazu. Übernommen aus anderen Sprachen, angepasst, eingedeutscht. So war es schon immer. Und trotzdem – oder gerade deshalb – scheint es mir wichtig, die eigene Sprachwurzel zu pflegen. Sie gibt Halt. Sie gibt Heimat. Und das, so meine ich, vergessen wir manchmal. Wenn wir unser Schweizerdeutsch hintenanstellen und tefig in die Schriftsprache wechseln, wenn wir uns mitteilen – vor allem im schriftlichen Sprachgebrauch. Was für viele, nicht so schreibversierte Menschen, manchmal eine echte Qual ist. Ich bin überzeugt, würden sie in Mundart schreiben, würds flüssiger fliessen. Zumal wir uns da nicht mit zig Regeln auseinandersetzen. Sondern einfach drauflosreden, wie es uns in den Schoss – in den Mund – gelegt wurde.

 

Ich beobachte mich oft beim Schweizerdeutsch Reden. Wie ich mich an alte Worte klammere, sie aus den hintersten Schubladen krame und mich an Ausdrücke meines Grosis erinnere: Dass ich nach wie vor Anke sage. Und Möuch. Oder de Tschope. Oder de Lesmer. Dass ich Potz heieiei im Wortschatz habe. Und Häppere.

 

Ich servierte Benjamin all meine Schweizerdeutsch-Perlen. Und er hakte beharrlich nach. Ob das Schweizerdeutsche irgendwo festgehalten sei. Ob man es in der Schule pflege und es Regeln für den Gebrauch gäbe. «Ich kenne das Idiotikon. Es dokumentiert die alemannische Sprache in der Schweiz vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart. Aber Regeln ... Regeln gibt es keine ...» In Mundart schreibt man einfach, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Und das klingt dann halt je nach Region anders: Glompe, Glungge, Glumpi. Guetsli, Güetzi, Chrömli, Chrämli.

In Mundart schreibt man einfach, wie einem der Schnabel gewachsen ist.

Doch, das versteht «man» in der grossen weiten Welt nicht. Und wir Schweizer sind ja choge anpassungsfähig. Heisst, wir stülpen uns rasch eine Fremdsprache über, um verstanden zu werden und irgendwie dazuzugehören. Und da ist er wieder, der Gedanke: Wie rasch wir doch bereit sind, unsere Muttersprache in die Tonne zu treten. Nur, um konform zu sein.

 

Mundart macht Mut

Seit dem Gespräch mit Benjamin beobachte ich mich genauer. Meine Morgennotizen, die ersten Seiten meines Schreibtages, schreibe ich seither auf Schweizerdeutsch. Und ich merke: Da fliesst es anders. Da bin ich näher bei mir. Da schreibt nicht mein Kopf. Da schreibt mein Innerstes. Ich bin es gewohnt, mich in Standardsprache auszudrücken. Aber ich merke, wie viel mehr Kraft diese Mundarttexte haben. Sie sind roher, ungezügelter, ungeschliffener. Wenn ich sie in meiner Sprache schreibe. Nicht der korrekten. Der echten.

 

Nur – wir pflegen das nicht. Wir wollen es den Menschen einfach machen. Verständlich sein. Schnell konsumierbar. Aber ich stelle die Frage in den Raum: Was würde passieren, wenn wir uns getrauten, auch im geschäftlichen Umfeld in Mundart zu schreiben? Würden unsere Texte genauer gelesen – oder gar nicht mehr? Weil heute niemand mehr Zeit zum Lesen hat? Ich weiss es nicht. Aber ich lade dich ein, dich damit auseinanderzusetzen.

 
 
 

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