Über Preise zu verhandeln, gehört in vielen Branchen zum guten Ton. Die Baubranche, Handwerksberuf, Kreative … viele ächzen unter dem enormen Wettbewerb. Manche verkaufen ihre Seele, um an einen Auftrag zu kommen. Und schuften sich buchstäblich an den Rand des Ruins. Körperlich und mental. Denn ganz ehrlich, schuften und auf keinen grünen Zweig kommen, ist unspassig. Berufe, in denen mit viel Liebe, Hingabe und Musse gearbeitet wird, müssen um jeden Franken ringen. Was genau macht den Reiz am Feilschen denn aus?
Aus meiner Wahrnehmung beinhaltet feilschen oder määrte, wie wir es in Schweizerdeutsch nennen, folgende Zwischentöne:
Ich gebe meinem Vis à vis zu verstehen, dass ich ihm nicht den Wert zugestehe, den er/sie für sich beansprucht: Du oder deine Arbeit sind mir nicht so viel Wert.
Ich will zwar eine Dienstleistung beziehen, kann oder will mir den Preis dafür aber nicht leisten.
Man hat die finanziellen Mittel. Aber es gehört mittlerweile zum «guten Ton», zu feilschen und damit seinem Gegenüber aufzuzeigen, wer am längeren Hebel sitzt und bestimmt.
Mangelgefühl oder Machtgehabe?
In den ersten beiden Fällen sitzen wir mit unserem Denken in der Mangel-Falle … vielleicht sogar unbewusst. Oder im Misstrauen. «Der könnte das bestimmt noch preiswerter machen … Da rufe ich gleich mal an.» Unterschwellig suggeriere ich, dass mein Gegenüber mich über den Tisch ziehen will. Beim dritten Gedanken schwingt das Thema Macht mit – ob bewusst oder unbewusst, das sei dahingestellt. In allen drei Fällen stelle ich die Frage: Ist das die perfekte Ausgangslage für eine sorglose und respektvolle Zusammenarbeit?
Ferien, Krankheitstage, Versicherungen sind Teil des Stundenlohnes
Ich selbst bin grottenschlecht, wenn es ums Verhandeln geht. Und habe noch nie in meinem Leben um etwas gefeilscht. Du findest das naiv, gar falsch? Mag sein. Mir erscheint es eher wertschätzend und logisch. Dahingehend, wie ich meine Werte definiert habe. Bist du irgendwo fest angestellt, kriegst du jeden Monat den gleichen Zahltag auf dein Konto. Du hast ein Einkommen, in dem bezahlte Ferien, Krankheitstage, Zügeltage, Tage bei Todesfällen, 13. Monatslohn, AHV, Pensionskasse, Unfallversicherung eingeschlossen sind. Wenn du deinen Monatslohn auf einen Stundenlohn herunterbrichst, kommst du vermutlich auf einen ordentlichen Batzen. Beziehst du eine Dienstleistung bei einer selbständigen Person, finanziert die mit ihrem Stundenlohn alles selbst, was du bei deinem Lohn einfach so inkludiert hast. Da sitzt also jemand mit einem fetten Monatslohn und will seinem Dienstleister seinen knapp kalkulierten Stundensatz streitig machen … Wie das wohl wirkt?
Menschlichkeit ist unbezahlbar
Will ich eine Dienstleistung beziehen, habe ich ein Ergebnis im Kopf. Ich weiss, was ich erwarte, was mir dieser Dienst an Mehrwert bietet, wie er/es mein Leben bereichert. Ich recherchiere, suche nach Menschen, die genau das können, was ich brauche. Solche, die mich mit Freude und Begeisterung unterstützen und mit denen die Zusammenarbeit Spass macht. Wir legen los, ohne dass der Preis je eine Diskussion war. Weil ich weiss, was ich will, was ich mir leisten kann und will und weil ich sicher bin: Das Ergebnis wird mich begeistern. Ist mein Wunsch für mein Budget zu gross, gehe ich mit einer schlankeren Version oder nehme mehr Geld in die Hand. So einfach ist das.
Ganz ehrlich: Hast du jemals daran gedacht, beim Zahnarzt, bei einer Bergbahn oder in einem Restaurant den Preis zu verhandeln?
In meinen 7 Jahren Selbständigkeit wurde ich selten bis nie mit einer solchen Situation konfrontiert. Dafür bin ich dankbar. Kund*innen, die nur über den Preis gehen, sind nicht die meinen. Ich habe meinen Wert definiert und daran gibt es nichts zu rütteln. Da lasse ich lieber mal einen Auftrag sausen, als mit einem unguten Bauchgrummeln ins Rennen zu gehen.
Wie siehst du das?
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