Jetzt ist es da, das neue Jahr. Für viele war das 2021 nicht mehr als einen kräftigen Arschtritt wert. Was veranlasst uns, ein Jahr so zu verunglimpflichen? Was kann das Jahr für die Umstände, die wir erlebten? War kein einzig schöner Augenblick dabei? Kein Moment, in dem unsere Mundwinkel tanzten? Freudentränen sich den Weg über unsere Backen bahnten? Was mir spontan als Antwort auf diese Fragen einfällt: «Doch, auf jeden Fall!» Und: Blurp. Und Seifenblasen. Manches, was momentan aus meinem Hirn kommt, sind Seifenblasen. Wobei, die ja schillernd durch die Lüfte schweben. Davon bin ich, ganz ehrlich, weit entfernt. Bleischwer platzieren sich Gedanken in meinem Kopf. Keine präzisen, greifbaren, die ich mit wenigen Worten entkräften könnte. Ein Handkantenschlag und alles wäre wieder zurechtgerückt. Nein. Sie sind diffus, verhangen. Wie eine Landschaft in dichten Nebel gehüllt. Seit ein paar Tagen spielen sie Schabernack mit mir. Sind mal da, um einen Wimpernschlag später hinter der nächsten Synapse zu verschwinden. Leichtsinn und Schwermut gehen Hand in Hand.
Ein Vermächtnis aus meiner Isolationszeit? Übrigens, mein Favorit für das Unwort 2021. Isolationszeit. Mensch muss sich isolieren. Abschotten. Rückzug. Soziale Abgrenzung. Die Einkäufe vor die Tür gestellt. Die eigenen vier Wände als Spielwiese. Die Zimmerpflanze als stumme Zuhörerin. Das fühlt sich an wie aussätzig. In der Tat. Und es hinterliess Spuren. Bei mir. Ich bin sehr gerne mit mir und mir eine gute Gesellschaft. Doch, wenn sich eben erst und jetzt schon wieder nicht mehr unterscheiden. Wenn es egal ist, ob man von Erdbeerblüten träumt oder melancholische Lieder hört. Ob man einen Strumpf am Bein hat oder barfuss bis zum Hals durch die Wohnung tingelt. Sich das mitten im Leben stehen anfühlt wie von der Lebensader abgekapselt. Dann macht das etwas mit mir. So gerne ich mit mir bin, so sehr bin ich auch ein soziales Wesen. Ich hangelte mich durch die Tage. Von einem kleinen Funken zum nächsten. Denn auch die gab es. Der Silberstreifen am Horizont. Der mich wieder aus dem Nebel lotste. Und ans Leben andocken liess. Das aufmunternde Telefonat. Die umarmende Postkarte. Der Bücherstapel. Kleine Aufmerksamkeiten. Momente, die ich mir selbst kreierte, wie das Weihnachtsessen auf meinem Balkon, auf meinem Gaskocher gekocht und mit Wonne genossen. Mit etwas wehmütigem Blick auf den Spazierweg vor meinem Haus, wo all die Menschen Hand in Hand einem geselligen Weihnachtsabend entgegenschlenderten.
Die Feiertage mit mir allein waren etwas vom Eigenartigsten, was ich in meinem Leben bis jetzt erlebt habe. Doch, wie käme ich dazu, das Jahr 2021 zu verunglimpflichen? Bloss, weil ein Kapitel oder zwei, vielleicht auch drei, eines ganzen Buches Scheisse waren? Nein, das behagt mir nicht. Stattdessen regt sich ein Trotz in mir. Da ist die Lebensfreude, die wütend die Arme in die Seiten stemmt. Und all die lichtvollen Momente hervor klaubt. Die das letzte Jahr trotz allem für mich bereithielt. Und so will ich mich auch im 2022 kopfüber ins Leben stürzen. Im Wissen darum, dass ich Blessuren davontragen werde. Ich greife mit beiden Händen nach Gelegenheiten, die sich bieten. Ich will Wege nehmen, ohne genau zu wissen, wohin sie führen. Auch wenn es bedeutet, dass ich an Mauern scheitere, an denen andere ohne Mühe hochklettern. Um ein andermal dafür eine Handbreit unter den Wolken zu schweben. Denn eines weiss ich. Solange ich nur einen Fuss in die Natur setzen, meine Nase in den Wind recken, mir den Regen auf die Haut prasseln und mich von Sonnenstrahlen liebkosen lassen kann. Solange schlägt mein Herz. Im Takt. Jeden Tag. Und es geht irgendwie, irgendwo immer weiter. Im Text.
Ich wünsche dir ein grossartiges 2022.
Foto: Margherita Delussu Fotografie (www.delussu.ch)
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