«Ech be im Stress. Scho weder z spot. Ech muess prässiere. Ech gohne no schnöu …» Viele von uns brauchen diese Aussagen regelmässig, wenn nicht sogar täglich. Und wir alle wünschen uns mehr Zeit. Wer glaubt, mit ausgeklügelten Apps seine Tage besser zu managen, denkt zu einseitig. Sich und seine Zeitfresser zu entlarven und etwas daran zu ändern, hat in erster Linie mit Persönlichkeitsarbeit und Intuitionsschulung zu tun. Etwas, das dir keine App dieser Welt abnimmt. So viel wird schnell klar im Gespräch mit der «Zeitexpertin» Yvonne Schwienbacher – ausrichten.ch. Sie war am 20. April bei Manuel Naranjo und mir zu Gast auf Clubhouse.
Chronischer Zeitmangel gehört zu unserer Welt, wie die Diskussion über Klimaziele. Dass wir durchs Leben hechten, wie Eichhörnchen auf Speed, hat mit der Digitalisierung, der ständigen Erreichbarkeit und Dauerberieselung zu tun. Überall prasseln Nachrichten und Informationen auf uns ein. Selbst auf dem Bahnhofsklo oder an der Tankstelle. Unser Hirn läuft permanent auf Hochtouren. «Doch es ist eben nicht nur das, was im Aussen passiert», sinniert Yvonne Schwienbacher. Den grössten Stress verursachen wir selbst: gesellschaftliche Normen, Konventionen, Erwartungen. Wir wollen es allen recht machen. Wir wollen wichtig sein, gebraucht werden und Wünsche anderer erfüllen. Darob vergessen wir oft uns selbst. Wer sagen kann, er sei im Stress signalisiert, dass er viel Arbeit hat und eine gefragte Person ist. Das tut unserem Selbstbewusstsein gut und bestätigt unsere Identität. Bis es irgendwann einfach zu viel des Guten ist.
Ausmisten und ich habe mehr Zeit?
Dann breitet sich dieser unglaubliche Wunsch nach mehr Zeit wie eine Pfütze um einen aus. Durchatmen, auftanken, zurücklehnen. Doch, wie steige ich aus diesem Rad der Gefälligkeiten, der Diensteifrigkeit und von Entsprechen wollen aus? Ganz einfach: mit ausmisten! Wortwörtlich. Geht man zu Yvonne Schwienbacher ins Coaching, nimmt sie in einem solchen Moment den Abfallkübel zur Hand, läuft mit ihren Klienten durch deren Wohnung oder das Büro und mistet aus. «Wegwerfen, was nicht mehr passt, was nicht mehr gefällt. Ballast abwerfen. Das ist ein wichtiger Prozess. Ich entsorge die Dinge dann auch für meine Kunden, damit sie sich gleich leichter fühlen.» So einfach ist das? Im Prinzip schon.
Entrümple ich im Aussen, bekomme ich auch in meinem Inneren Platz. Das ist die Dualität von Yin und Yang, die hier mitschwingt.
Bin ich im Stress, arbeitet mein Hirn im Betazustand. Erledige ich Routi
netätigkeiten (eben aufräumen oder ausmisten), wechselt das Hirn in den Alphazustand. Der Kopf wird frei. Auf einmal entsteht Raum für neue Ideen, Ansätze.
Mit dem physischen Aufräumen kann sich plötzlich zeigen, was ich gerne tue und was ich bloss mache, weil ich glaube, es zu müssen. Was, wenn ich in diesem Prozess merke, dass mir mein Job keinen Spass macht oder mir gewisse Arbeiten überhaupt nicht liegen? Soll ich dann kündigen? «Wenn du spürst, dass es wichtig und richtig ist, dann tu es. Oder du sprichst offen aus, was dir nicht passt. Vielleicht ist da jemand im Team, der für genau diese Aufgabe brennt.» Das erlebe sie in ihren Coachings häufig, erklärt Yvonne. Das Ausmisten muss nicht im grossen Stil passieren. Man kann auch im Kleinen Ordnung schaffen. Nervt mich ein Kugelschreiber auf dem Pult schon lange und ich schmeisse ihn endlich weg, passiert etwas. Weil ich mich mehr und mehr nur noch mit Dingen umgebe, die mir Freude machen.
5 Notfalltipps bei akutem Stress
Was, wenn ich vor lauter Hektik keine Zeit zum Ausmisten habe, mir der Schnauf fehlt? Da hat Yvonne fünf Notfalltipps zur Hand.
Sich selbst bewusst «Stopp!» sagen und zwei, drei tiefe Atemzüge nehmen. Das beruhigt.
Frage dich in einem solchen Moment: Was würde dir jetzt am meisten Spass machen oder wirklich leichtfallen? Schenk dem ersten Impuls deine Aufmerksamkeit, auch wenn das bedeutet, dass du einen Plan umschmeisst. Denn, die freudvolle Tätigkeit funktioniert wie ein Katalysator, der dir Antrieb gibt. Danach erledigst du alles mit Links und sparst Zeit.
Verlasse für einen kurzen Moment den Arbeitsplatz und geh an die frische Luft. 10 Minuten reichen und dein Hirn ist in einer ganz anderen Frequenz.
Erledige nie zwei Dinge auf einmal. Du bist viel effizienter, wenn du bewusst eines nach dem anderen abarbeitest. Grosse Aufgaben teilst du in viele kleine Teilprojekte auf. Man isst einen Elefanten auch nicht in einem Stück …
Mach dir ein Zeitbudget und stelle dir innerlich vor, wie du alles spielend leicht schaffst. Die selbsterfüllende Prophezeiung wird eintreffen.
Die selbsterfüllende Prophezeiung
Wer sich dauernd vorkaut, dass er gestresst ist, erlebt es auch so. Das ist nachweislich messbar. Ist das Hirn dauernd mit dem Wort Stress beschäftigt, schüttet der Körper genau diese Hormone aus, der Herzschlag und der Puls beschleunigen sich. Man ist permanent angespannt. Und fühlt sich dadurch natürlich wieder gestresst. Ein Kreislauf von Energie und Wirkung. Wie durchbreche ich dieses Gedankenkarussell? Mit Achtsamkeit. Weg vom Müssen, hin zum lustvollen Wollen und Dürfen. «Man darf sich überlegen, wie man seinen Tag strukturieren möchte. Was wirklich auf die To-Do-Liste gehört und was eigentlich in den Abfalleimer wandern darf», so Yvonne Schwienbacher. Es gibt keine allgemeingültigen Regeln. Jeder Mensch muss für sich selbst herausfinden, was funktioniert. Und seinen Tagesablauf entsprechend einfädeln. Auch das mit Lust und der Gelassenheit, Pläne womöglich spontan zu ändern. Denn, müssen tun wir gar nichts! Wollen dürfen hingegen ganz viel.
Sich selbst managen und seine Vorlieben kennen
Wer kennt es nicht: Konzentriert sitzt du an deinem Computer und erledigst eine wichtige Aufgabe. Mit einem Auge linst du in einen Gruppenchat, du lässt dich vom Telefonklingeln ablenken und liest jede E-Mail, die in deinem Postfach landet, unmittelbar. Jedes Mal wirst du bei deiner Arbeit unterbrochen und brauchst dann eine Weile, um wieder in den Fokus zu kommen. Jede Unterbrechung kostet wertvolle Konzentration. Vermeide unnötige Unterbrechungen und gib Zeitdieben keine Chance. Schalte dein Telefon auf lautlos, schalte Skype oder dein E-Mailprogramm einfach mal aus. Weisst du, zu welcher Zeit des Tages du am leistungsfähigsten bist? Nutze diese Leistungshochs für die wichtigen Sachen und lege andere Arbeiten in deine nicht so produktiven Zeiträume. Gerade Selbständige haben die Flexibilität, ihre Tage frei zu gestalten. Da ist kein Personalreglement, das einem vorgibt, wann man was leisten muss.
Zeit gewinnen oder sparen
Aber nicht nur diese Faktoren sind Zeitfresser. Auch unser Gehirn kann ganz schöne Kapriolen veranstalten. Hadern, Probleme wälzen, sich Sorgen machen sind wahre Energieräuber. «Hadere ich mit einer Entscheidung, lautet die Antwort nein. Sonst würde ich nicht hadern», erklärt Yvonne Schwienbacher. Also kann man sich der Sache mit einem einfachen «Nein» entledigen, dieses Nein auch mutig kommunizieren und gut ist. Oft verschaffen einem solche Neins viel Spielraum in der privaten oder geschäftlichen Agenda. Das braucht Übung. Schliesslich sind wir nicht zu Neinsagern erzogen worden. Doch «wer A sagt, der muss gar nichts», schmunzelt Yvonne. Es ist total legitim, einen Entscheid vom Vortag über den Haufen zu werfen, wenn er sich heute nicht mehr stimmig anfühlt. Auch das sind wir uns nicht gewohnt. Mit Konventionen und Regeln brechen, lauten die Zauberwörter.
Not-to-do Liste – schon mal darüber nachgedacht?
Bestimmt gibt es Dinge, die auch du nur tust, weil andere … Schreibe dir all diese Tätigkeiten, Gefälligkeiten einmal auf. Vergleiche sie mit deinen Werten und lass los, was dir nicht mehr dient. Welche Arbeiten lassen sich delegieren, auslagern? Womit gewinnst du wertvolle Zeit? Hier dürfen auch finanzielle Überlegungen mitschwingen. Gibst du als Selbständige*r zum Beispiel deine ganze Buchhaltung extern, kannst du in dieser Zeit der Tätigkeit nachgehen, die dir wirklich Spass macht und damit Geld verdienen. Einen ganz tollen Tipp zum Schluss: Raubt dir ein Mensch mit einem Redeschwall zu einem Thema, das dir grundsätzlich am A.... vorbeigeht, deine Zeit? Dann unterbrich den verbalen Erguss dieser Person. Charmant, aber bestimmt. Und schon hast du wieder fünf Minuten gewonnen. Klingt doch wunderbar, nicht?
Die Wundermittel gegen Stress und Zeitmangel lassen sich also ganz einfach zusammenfassen: Hör auf dich, dein Bauchgefühl und handle danach. Delegiere, was dir nicht liegt und habe immer wieder den Mut, nein zu sagen.
Auf einem stündigen Spaziergang erfahren, wie du mehr Zeit und Leichtigkeit ins Leben holst? Dieses Angebot gibt es bei Yvonne Schwienbacher – www.ausrichten.ch
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